Ich glaube, (nicht) zu glauben

In den westlichen Gesellschaften, vor allem in West-Europa können wir einen wachsenden Glaubensverlust feststellen. In der Schweiz bekannten sich 2021 67,7 % der Gesamtbevölkerung als gläubig (59,1 % davon waren Christinnen und Christen) und 32,3 % als Personen ohne Religionszugehörigkeit. Bei der Altersgruppe der 25–44-Jährigen sind 49,3 % als Christinnen und Christen registriert; 40,4 % bezeichnen sich als Personen ohne Religionszugehörigkeit.

Was geschieht da gerade in unserer Gesellschaft? In der 2022 erschienenen Publikation «Religionstrends in der Schweiz»[i] gehen verschiedene Autoren auf aktuelle Themen ein und geben detaillierte, wissenschaftlich fundierte Antworten. So schreiben sie, dass laut Alasdair Crocket und David Voas[ii] die Säkularisierung in westlichen Gesellschaften vor allem generationell verlaufe. “Aufgrund   von Problemen in der religiösen Sozialisation entwickle jede neue Generation eine etwas weniger starke Religiosität als die vorangehende, behalte aber im weiteren Erwachsenen-leben die einmal erreichte Religiosität im Wesentlichen bei. Die abnehmende Religiosität der Gesamtgesellschaft resultiere nicht etwa aus dem Glaubensverlust von Individuen, sondern daraus, dass religiösere Generationen durch weniger religiöse ersetzt würden.[iii]

Ein Rückgang der Ausübung der religiösen Praxis ist seit den 1930er Jahren zu beobachten, hat aber seit den 1960er Jahren stark zugenommen. Das heisst, dass seit den dreissiger Jahren jede Generation etwas weniger religiös ist als die jeweils vorhergehende.

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Ständige Wohnbevölkerung ab 15 Jahren nach Religionszugehörigkeit 1910–2019: Volkszählungsdaten. Ab 2010 basieren die Zahlen auf aufeinanderfolgenden jährlichen Strukturerhebungen[iv]

 

 

Gemäss den Autoren zeigt sich, dass sich die religiöse Landschaft in der Schweiz weiter verändert. Die institutionalisierte Religion nimmt ab, (dies bezieht sich vor allem auf die reformierte und katholische Kirche), während die Zahl der Menschen, die sich als nicht religiös, aber spirituell bezeichnen, vor allem bei der jüngeren Generation, zunimmt. Es ist auch festzustellen, dass das Wort ‘religiös’ von jungen Menschen als negativ besetzt gilt “im Zusammenhang mit institutionalisierter, strenger, konservativer Tradition.”[v]

Weiter stellten die Autoren fest, dass religionslose Personen oft jung und gut ausgebildet sind. Oft genügt schon, dass ein Elternteil nicht religiös zugehörig ist, damit die junge Person sich selbst als nicht religiös bezeichnen wird.

Die Kirchen als Institutionen erleben schon seit längerem einen Vertrauensverlust. In der neuesten CS-Studie von 2021 rutschten die Kirchen gar auf den letzten Platz ab. Am meisten vertrauten die befragten Personen der Polizei, dem Bundesgericht und dem Bundesrat.

Wir sehen, dass sich auch im religiösen Bereich vieles bewegt.

 

Aber gibt es auch etwas, bei dem der Glaube ein Hindernis sein kann? Isabela aus Brasilien meint: “Wenn ich das Gefühl habe, dass mir Dinge vorgesetzt werden, die ich befolgen muss.” Und David sagt: “Der Glaube hilft mir nicht, konkrete Probleme zu lösen, weil ich da selbst meinen Beitrag geben muss.”

Und warum glaubst du, dass Gott existiert? “Er ist in seinem Wort gegenwärtig. Immer wieder erinnert er uns, dass wir nie allein sind, dass er immer mit uns ist. Mit ihm ist alles möglich”, sagt Gift aus Sambia. Und Naya meint: “Ich habe Gott mit den Sinnen des Geistes erlebt. Und je mehr ich bitte, einen grösseren Glauben zu haben, desto mehr wächst mein Glaube und die Augen des Herzens öffnen sich.” “Ich nehme Gott in der Vorsehung wahr, in den Dingen, die sich auf mysteriöse Weise klären, obwohl es scheint, dass sich unmöglich gelöst werden können”, meint Valentina. Und Sofia erklärt, dass die persönliche Beziehung zu Gott ihr Leben auf den Kopf gestellt hat.

Raone aus Brasilien antwortet auf die Frage, warum er glaube, dass Gott nicht existiere: “Als Agnostiker glaube ich an die Ungewissheit.” Und Luis, ebenfalls aus Brasilien, fügt an: “Für mich ist es nicht wichtig, ob Gott existiert oder nicht.” Roberto aus Mexiko: “Das Universum existiert seit mehr als 13 Milliarden Jahre. Von Gott spricht man seit weniger als 5'000 Jahren. Ich kann mir keinen Schöpfer vorstellen, der über all diese Zeit wirkt.”

Wir haben unsere Jugendlichen auch auf mögliche Glaubenszweifel angesprochen. Alle 6 haben mit Ja geantwortet. Gift: “Ist das, was die katholische Kirche lehrt, wirklich wahr?” Naya: “Ist Jesus wirklich Sohn Gottes? Auch hatte ich Zweifel bezüglich der Gegenwart Gottes.” Sofia: “Ich hatte starke Zweifel bezüglich des Wortes Gottes.” Isabela: “Ja, bis heute weiss ich nicht genau, wie ich meinen Glauben definieren soll.” Und auf die Frage, ob die Zweifel halfen, den Glauben zu stärken, sagten alle Ja. Sofia präzisiert: “Die Zweifel halfen mir, im Glauben zu reifen. Ich habe verstanden, wie wahr die Begegnung mit Gott ist. Nie zuvor haben Worte so viele Früchte gebracht, wie das Wort Gottes.”

 

Und zum Schluss die Bitte, folgenden Satz zu vervollständigen: “Der Glaube ist für mich:”

  • Ein Geschenk. (Gift, David)
  • Das, was meiner Existenz auf dieser Welt Sinn gibt. (Naya)
  • Ein Geschenk Gottes, das wir bekommen, wenn wir unser Herz öffnen und ihn eintreten lassen. (Sofia)
  • Eine Gewissheit, den richtigen Weg in meinem Leben zu gehen. Auf diesem Weg kann ich mich freuen, Werkzeug Gottes zu sein für andere. (Valentina)
  • Etwas, was man nicht erklären kann, was aber alle Menschen brauchen, um das zu erklären, was wir nicht verstehen. (Isabela)

 

[i] Religionstrends in der Schweiz, Springer VS, 2022 – Open Access

[ii] Crockett und Voas (2006), Voas und Crockett (2005).

[iii] Jörg Stolz, Jeremy Senn: Religionstrends in der Schweiz, Springer VS, 2022 – Open Access

[iv] Ebd.

[v] Ebd.